Südkorea & das Problem der vielen Suizide

Das Südkorea mit einer der höchsten Suizidraten weltweit zu kämpfen hat, dürfte für niemanden mehr ein Geheimnis sein, der sich näher mit diesem Land beschäftigt. Verantwortlich zeichnet sich dafür vor allem der hohe Leistungsdruck, der unter den Bürgern des Landes vorherrscht und damit nicht selten für Existenzängste und schwere Depressionen sorgt. Doch entgegen vielem Glauben, dass Korea absolut nicht aufgeklärt ist und etwas tut, um dem entgegenzuwirken, wird hier an verschiedenen Stellen gearbeitet, um effektive Lösungen zu finden. Zum Teil sind es sogar ganz schön unkonventionelle Wege, die hierfür gegangen werden. Für diesen Artikel habe ich mich mit zwei Damen unterhalten, die selbst viel zu diesem Thema zu sagen haben. Sie haben mir ein paar Fragen beantwortet und möchten euch dazu verhelfen, einen besseren Einblick in die Sache zu erhalten. Doch beginnen wir zunächst ganz von vorne…

Schnell wird der tadelnde Finger gehoben, wenn es um Mental Health in Korea geht. Vorschnell wagen es Menschen, die nicht dort leben und die gegebenen Umstände nicht hautnah miterleben, zu beurteilen, dass Südkorea doch viel zu rückständig in dieser Angelegenheit ist. Aber ist dem wirklich so? Fehlen hier engagierte Fachkräfte, die den Bedürftigen dabei helfen, genau das zu mindern? Oder liegt das Problem an anderer Stelle? Ich selbst war zunächst der Meinung, dass in Südkorea ganz schwierige Zustände um dieses Thema herrschen und habe mich deshalb auf eine sehr lange Reise der Recherche begeben.

Überwiegend Suizidfälle im höheren Alter

Zunächst haben meine Recherchen ergeben, dass die meisten aller Suizidfälle in Korea von den älteren Menschen über rund 50 Jahre ausgehen. Überraschend eigentlich. Denkt man an dieses Problem in Korea, hat man schnell ein Bild vor Augen, das insbesondere von jungen Menschen gezeichnet ist, die sich das Leben zu nehmen versuchen. In einem Interview mit ansoko haben ein paar Damen zum Beispiel darüber gesprochen, dass sich eine Freundin aufgrund des enormen Leistungsdrucks in ihrer Schulzeit das Leben genommen hat.

Aber woran liegt dieses Problem, dass sich die Menschen höheren Alters öfter das Leben nehmen, als Jugendliche? Das hat viel mit der vorherrschenden Altersarmut zu tun. Die aktuelle Politik ist stark darum bemüht, etwas dagegen zu unternehmen, aber aktuell besteht sie nach wie vor. Das Problem, weshalb Südkoreaner in jenen Belangen durchaus etwas rückständig sind, liegt zum Teil in den konfuzianistischen Wurzeln begraben. So leben Koreaner von vornherein in dem Gedanken, dass Familie das Wichtigste ist. Junge Menschen setzen sich selbst dem hohen Leistungsdruck der Arbeitswelt aus, um später für die Eltern sorgen zu können. Auf dem Land, wo nicht alle Familien Kinder bekommen oder diese in die Stadt ziehen, um sich zu verwirklichen und dann womöglich gar nicht mitbekommen, wie schlimm es um ihre Eltern steht, herrschen dann am allermeisten solch schwierige Bedingungen vor. Aus diesem Grund erstrecken sich die Suizidfälle auch überwiegend auf ländliche Gegenden, anstatt auf große Städte, wie oft im ersten Moment angenommen wird.

Das Problem mit der sozialen Kränkung

Ein weiteres Problem, womit die Gesellschaft Koreas stark zu kämpfen hat: Ihr soziales Ansehen. Viele Koreaner entwickeln bereits in sehr jungem Alter einen fixen Plan, was sie mit ihrem Leben tun wollen bzw. welches Berufsbild sie später einmal als das ihre bezeichnen möchten. Schlägt dies fehl, gibt es meist gar keinen Plan B. Die Kränkung, die sie hier oft empfinden und der Kummer, den sie ihren Familien dadurch einbringen, dass sie nun dem guten Ansehen von dieser schaden, treibt sie oft in den Selbstmord.

Auch, wenn Korruptionsfälle aufgedeckt werden und hier ein hoher Firmenchef für schuldig befunden wird, kommt es dann oft zu so etwas. Im April 2015 ist so etwas zum Beispiel durch Sung Wanjong geschehen, welcher eine führende Position in einem Bauunternehmen innehatte. Auch er war Opfer von Korruptionsvorwürfen geworden, welche sich im Laufe der Ermittlungen schließlich bestätigt hatten.

Gibt es denn keine ausgebildeten Psychologen in Korea?

Genau zu dieser Frage haben mich meine Recherchen am Ende einer vergleichsweise langen Reise geführt. Eine der zuvor erwähnten Damen, Kim Jihee, hat mir zu genau diesem Thema auch ein paar Fragen beantwortet, was wirklich aufklärend für mich gewesen ist. Hier ein Teil von unserem Gespräch dazu:

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Du hattest erklärt, dass du selbst eine lange Zeit mit Depressionen zu kämpfen hattest?

Ja, das war eine sehr schwere Phase.

Weißt du, wie es dazu kommen konnte?

Nicht wirklich eigentlich, nein. Ich weiß nur, dass alles in mir stets danach geschrien hat, dass ich keine Ahnung hätte, wie es weitergehen soll. Ich habe zu völlig irrationalen Gedanken geneigt und wusste gar nichts mehr mit mir anzufangen. Es kam aus dem Nichts.

Du hattest also keine Probleme? Innerhalb der Familie oder so?

Nein, wirklich nichts. Ich sollte eigentlich glücklich sein, darum war es ja so paradox für mich. Ich weiß aber, dass ich mich immer einsam gefühlt habe, obwohl ich Freunde und Familie hatte. Bloß ein Mann hatte mir noch gefehlt. (sie lacht)

Ich verstehe. Das Problem mit Depressionen ist ja, dass sie im Grunde eine Krankheit sind. Sie können aus dem Nichts kommen, wie eine Erkältung.

Ja, vielleicht war es der viele Stress.

Wie hast du bemerkt, dass du depressiv bist?

Ich musste am Ende zum Arzt, weil es einfach zu viel für mich geworden ist. Mit meinen Eltern habe ich nie darüber geredet. Es war mein Bruder, der Angst um mich hatte, dass ich etwas Dummes tun würde. Also hat er mich angefleht, ins Krankenhaus zu gehen. Er ist mit mir gekommen, er ist wirklich ein toller Bruder. Ich liebe ihn.

Und der Arzt hatte das direkt festgestellt?

Nein, das war ein sehr langer und anstrengender Weg…

Was musstest du tun?

Es war zunächst eine furchtbare Erfahrung, die ich im Krankenhaus gemacht habe.

Du hast dem Arzt erzählt, wie es dir geht?

Genau. Aber es war schlimm. Er hat mich behandelt, als ob ich ein Alien wäre.

Hat er dir gesagt, was los ist?

Nein, das ist in Korea nicht üblich. Man geht für normal in ein Krankenhaus, lässt sich untersuchen und bekommt etwas. Das war es dann. (Anmerkung: Das ist tatsächlich so in Korea. Wenn man den Arzt in so einem Moment fragen würde, wie die Diagnose aussieht, käme das einer Unterstellung gleich, dass man ihn inkompetent hält.) Ich sollte ein, zwei Tage frei machen. Aber ich habe mich nicht besser gefühlt. Also bin ich nochmal hin und wurde behandelt, als würde ich mich wie ein Kleinkind anstellen und nur jammern.

Das muss ärgerlich sein.

Ich war eher verzweifelt, weil ich mir eingeredet hatte, nun auch noch selbst daran schuld zu sein.

Was konntest du tun, damit es besser wurde?

Mein Bruder hat vorgeschlafen, zu einem Psychiater zu gehen. Das war ein Fiasko.

Was ist passiert?

(sie lächelt verhalten) Es ist sehr schwierig in Korea, über Themen zu reden, die mit psychischer Gesundheit zu tun haben. Es ist ein richtiges Tabu.

Also hat es auch Ärger für deinen Bruder bedeutet?

(sie nickt) Ja, meine Mutter und er haben viel deswegen gestritten.

Dadurch, dass es so ein großes Tabuthema ist, erhalten nur rund 15% aller Betroffenen die nötige Behandlung. Mehr als zwei Millionen Menschen in Südkorea leiden Schätzungen zufolge an einer psychischen Krankheit. Nicht immer muss es eine Depression sein. Genauso gut sind Fälle von Borderline, ADHS oder selbst Entwicklungsstörungen, wie zum Beispiel Autismus ein großes Tabu in Korea. Dadurch, dass Betroffene oft direkt ausgeschlossen werden und man sich gar nicht näher damit auseinandersetzen möchte, warum genau sie anders, als vom Durchschnitt erwartet sind, stellt das ein großes Problem dar.

Die Politik und auch Programme aus dem nationalen Fernsehen versuchen hierbei bereits seit mehreren Jahren, entgegenzuwirken. Oft allerdings noch erfolglos.

Eine unkonventionelle Herangehensweise: Das Suizidrettungsteam

In Seoul ist es zum Beispiel eine sehr häufige Vorgehensweise, sich in den Han-River zu stürzen, um dort zu ertrinken. Nur etwa 30% der koreanischen Bevölkerung können gut schwimmen. So hätten es selbst jene schwer, die sich dann im Wasser dazu entschließen, dass ihr Leben doch mehr wert ist, als sie zunächst gedacht hatten.

Von der Stadt Seoul gibt es daher ein eigenes Team, das für genau solche Fälle zusammengestellt worden ist: Das Yeouido Water Rescue Team.

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Was Moon Jaein zur Änderung beiträgt

Als der aktuelle Präsident Moon Jaein sein Amt angetreten ist, hat er Sonnenschein für Südkorea versprochen. Dass er hier auch mit dem Gesundheitssystem viel zu tun hat, ist ihm bewusst. Aber er hat keine Macht darüber, über Nacht die Denkweise all seiner Bürger zu beeinflussen. Sein Weg schließt derzeit die staatliche Förderung der in Südkorea bestehenden psychiatrischen Kliniken nicht ein. Aber er wird unter anderem darin tätig, dass er verschiedene Gesetze erlassen möchte, welche die Arbeitszeiten betreffen werden. Im Mittelpunkt stehen für ihn zunächst Polizisten, Ärzte und Feuerwehrleute. Besonders unter Polizisten ist in den letzten drei Jahren die Suizidrate erheblich gestiegen. Grund hierfür ist die berufliche Belastung, also der hohe Stress, den sich diejenigen täglich aussetzen müssen. Seinen Worten zufolge will er verhindern, dass Polizisten und andere Personen in für die Gesellschaft so wichtigen Berufen irgendwelche Kompromisse eingehen müssen und dabei ihre eigene Gesundheit leiden müsse.

Mit der lieben Kang Ari konnte ich mich über ihr Studium unterhalten. Sie möchte Psychiaterin werden.

Wie schwierig ist es, in Korea eine Ausbildung zum Psychiater zu absolvieren?

Naja, die Grundausbildung über das Medizinstudium ist noch kein Thema. Ich selbst studiere an der Seoul National University. Psychologie oder auch Psychiatrie sind landesweit nicht sehr bekannte Themen. So weit ich weiß, gibt es außer dieser Universität gar keine Möglichkeit, das zu studieren.

Findest du, dass Psychologen in Korea viel Erfahrung haben?

Durchaus. Natürlich gibt es, wie in jedem Beruf, Menschen, die nicht dafür geeignet sind. Aber im Großen und Ganzen finde ich es wichtig, dass es solche Leute überhaupt gibt. Ich finde, dass dieses Tabu um psychische Erkrankungen zum Teil auch daran liegt, dass es nicht viele Ärzte auf dem Gebiet gibt.

Ein anderes Problem ist auch bestimmt die Tabuisierung davon.

Das bestimmt ebenso.

Wie steht es um dein Privatleben? Wie finden es deine Freunde, dass du Psychiater werden willst?

Ich habe Freunde dadurch verloren.

Ehrlich?

Ja. (sie kichert) Aber nicht, weil ich studiere, was ich studiere. Es hat mehr damit zu tun, dass ich einfach keine Zeit mehr für sie habe und wir irgendwann einfach den Kontakt zueinander verloren haben. Sonst mache ich eigentlich nicht die Erfahrung, dass es jemand schräg oder sonst wie negativ findet, was ich studiere.

Wie reagieren deine Eltern?

Sie sind stolz auf mich und freuen sich mit mir, dass ich hier studieren darf. Es war echt schwer, hier einen Studienplatz zu erhalten.

Das glaube ich dir. Was ist deiner Meinung nach der Grund für die hohe Suizidrate?

Eine schwierige Frage. Ich glaube, dass einfach zu wenig Allgemeinwissen über psychische Erkrankungen und Andersartigkeiten vorherrscht, dass unsere Gesellschaft einfach noch nicht wirklich in der Lage ist, solche zu erkennen. Koreaner sind ein viel zu stolzes Volk. (sie kichert wieder)

Etwas, womit Ari bestimmt Recht hat. Der Stolz der Koreaner führt schließlich dazu, dass sie sich selbst kaum bis gar nie eingestehen würden, dass ein Problem vorherrscht.

Seit 2017 können allerdings bereits erste große Veränderungen in der Gesellschaft festgestellt werden. So wird zumindest schneller darüber gesprochen, dass man sich von einem Erlebnis traumatisiert fühlt, ohne dies in einem abwertenden oder gar belustigenden Zusammenhang zu bringen. Auch wird immer stärker an das Volk kommuniziert, dass man über die eigenen Probleme sprechen soll.

Wohin kann man sich in Südkorea im Notfall wenden?

An Universitäten gibt es Vertrauenspersonen. Diese stehen bei akuten Problemen zur Verfügung und haben meist auch zumindest eine Grundausbildung in der Prävention von schwerwiegenden Entscheidungen, wie etwa Suizid. Zwar gilt es als grobes Tabu, über Freunde mit dem Vertrauenspersonal zu sprechen, aber auch hier scheint eine Wendung im Gange zu sein.

Auch gibt es eigene Suizidhotlines, die hier Love-Lines genannt werden. Ihr Sitz ist in Seoul, das zugehörige Unternehmen heißt Love-Line Counselling Centre. Auch an Pfarrer innerhalb von Kirchen kann man sich bei Problemen wenden.


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